Radikal ehrlich und liebevoll im Job – erstmal beängstigend…
Binnen Sekunden nehme ich die Transformation wahr: aus einem coolen, tadellos gestylten Social Media Manager/ Team Lead / Leuchtturm wird ein 8jähriger, dem gerade etwas furchtbar peinlich ist. Er nestelt an seinem Pullover, grinst künstlich, wünscht sich wahrscheinlich, dass das alles hier schnell vorbei ist…
Die Übung, die der junge Mann gerade erlebt, sollte eigentlich das Gegenteil bewirken und ist Teil eines Kommunikationsworkshops, den ich gemeinsam mit meinen KollegInnen von ThisMemento Amsterdam gebe. Sebastian Niemeyer, Managing Director bei Nike, hat uns beauftragt, seinem Core-Team aus circa 80 Personen die Grundlagen von Consumer Insights und aufrichtiger Kommunikation zu vermitteln. Es ist 2018 und die Digitalisierung der Arbeitswelt schreitet voran, die Anzahl der Meetings und Calls steigt, in die Augen schaut man sich immer weniger…
Der unsicher wirkende junge Mann hat gerade Komplimente von zwei seiner Kollegen empfangen. Kein Business-Blabla oder „nice shoes“-Gefloskel“… ihre Aufgabe war es, drei Eigenschaften zu finden, die sie an ihm schätzen und diese aufrichtig und ehrlich zu kommunizieren. In einer Welt, in der es vor allem um Konkurrenz, Performance und das Aufspüren von Defiziten geht, wurde dieses Empathy-Training für mehr Berührbarkeit und positives Miteinander erst einmal unangenehm. Im späteren Ideation-Prozess erklärte das Team, wie neu und befreiend sich die Übung anfühlte, das wolle man von nun an öfter machen…
Zum Zeitpunkt des Workshops lebte ich alleinerziehend im sich rasant wandelnden Berlin. Ich erstellte Kampagnen und Texte, die Menschen bewegten und erheiterten, während ich mich, erschöpft von Kinderbetreuung und Therapiesitzungen, irgendwie über Wasser hielt. In meiner Wahrnehmung glitt die Stadt immer mehr in Anonymität ab, schneller, mehr Ellenbogen, die Menschen irgendwo zwischen funktionieren und betäuben… Mindestens einmal in der Woche flüchtete ich mich zu Radical Honesty Treffen, Singkreisen oder Contact Improvisation Tanz-Sessions. In meiner Spiri-Bubble spürte ich mein Innerstes in menschlichen Begegnungen und Echtheit… Ich konnte den Panzer ablegen, den ich in den Berlin-Mitte-Büros brauchte. Ich lernte, mir mehr Langsamkeit und Authentizität zu erlauben, Nein zu sagen, Selbstliebe zu kultivieren. Und langsam hielten diese Themen auch Einzug in mein berufliches Wirken.
Die vormals konträren Welten sind für mich heute verbunden und ich bin überzeugt davon, dass es die Polarität von „hier die böse Corporate Welt“ und „da die Gutmenschen-Heiler“ überhaupt nicht gibt. Wir alle befinden uns in umfassenden Transformationsprozessen, die uns mehr oder weniger dringlich auffordern, ehrlich mit uns, unseren Beziehungen und unserer Arbeit zu werden.
Nachhaltigkeit, Gleichberechtigung, Mindfulness und Awareness sind heute hippe Buzz-Words in vielen Unternehmen… und genauso in Healing-Kreisen. In meiner Arbeit erlebe ich, dass nur, wenn sie in der Tiefe gelebt werden und auch die Schattenseiten betrachtet und aufgelöst werden, wirklich Mehrwert, Freude und Flow entstehen. So kreieren wir Umfelder, in denen sich unsere Nervensysteme entspannen können, raus aus Fight&Flight&Fake hin zu mehr Miteinander und echter Visionsfähigkeit. Ganz nebenbei entstehen Innovationen, die wirklich funktionieren und sich bereichernd anfühlen – wie innen, so außen.